Vom 12.12.-23.12. plante ich das Sunway Chessable Sitges Chess Festival in Sitges zu spielen. Leider lief nicht alles wie geplant. Aber betrachten wir die Dinge chronologisch. meine Anreise aus Sant Boi war nicht weit und so konnte ich mich zwischen den beiden Turnieren noch drei Tage bei Sonnenschein und angenehmen 15 Grad entspannen.
In der ersten Runde bekam ich es dann mit einem jungen Amerikaner zu tun. Bereits aus der Eröffnung konnte ich großen Vorteil erzielen, den ich aber schnell wegwarf - wäre ja zu einfach, Partien schnell zu gewinnen. Im Mittelspiel erarbeitete ich mir dann wieder einen großen Vorteil, nur um ihn wieder wegzuwerfen! Am Ende erreichten wir ein interessantes Turmendspiel.
Die weiße Gewinnidee hier ist es, den Turm nach d4 zu bringen, sodass er den f-Bauern zuverlässig verteidigt und gleichzeitig, den schwarzen König vom Damenflügel abschneidet, sodass der weiße König zusammen mit dem Bauern bis zur 8. Reihe vormarschieren kann. Schwarz hätte sich eventuell vorher etwas schlauer verteidigen können, doch auch hier gibt es noch einen Weg, das Remis zu sichern, aber man muss sehr genau spielen! Nötig ist: 64... Tf3+ 65. Kc2 Tf2+ 66. Kc3 Tf3+ 67.Kb2 und erst hier griff mein Gegner fehl. Nach 67... Te2+ 68. Ka3 Td2 hätte er verhindert, dass mein Turm nach d4 kommt und somit meine Gewinnidee außer Kraft gesetzt. Es könnte folgen: 69. Tc4 Ke6 70. b4 Kd5. Der König auf d5 nimmt dem weißen Turm die Stabilität und garantiert, dass man genug Gegenspiel gegen den f-Bauern kreieren kann, um den b-Bauern auszugleichen. Stattdessen folgte in der Partie 67... Td3 68. Kc2 Tf3 69. Td4 Ke6 70.b4 Ta3 71. Kb2 Ta8 72. Kb3 Tb8 73. Kc4 Tc8+ 74. Kb5 Tb8+ 75. Kc6 und der Turm auf d4 erfüllt seine Aufgabe überragend, da er auch den b4-Bauern deckt und so den Vormarsch des Königs bis nach b7 unterstützt. Wirklich keine souveräne Partie, aber keine Seltenheit in der ersten Runde eines Turnieres und solange das Ergebnis stimmt, ist man doch erstmal erleichtert. In Runde zwei bekam ich es dann direkt mit einem 2600+-GM zu tun - Daniel Dardha.
Die Eröffnung lief sehr gut und nach einem vereinfachenden Bauernopfer meinerseits erhielten wir ohne größere Ereignisse vor der Zeitkontrolle ein Turmendspiel mit vier Bauern gegen drei an einem Flügel. Hier war ich noch recht zuversichtlich, dass ich die Stellung halten werden. Doch mein Gegner wollte sich nicht allzu schnell mit einem Remis zufrieden geben und spielte noch lange Zeit weiter. 64 Züge später hatten wir die meisten Bauern getauscht und ich konnte sogar meinen Minusbauern zurückgewinnen, im Gegenzug verbrauchte ich aber meine gesamte Zeit, mein Gegner aktivierte seinen König und mir bleib nur ein einziger Weg das Remis zu halten.
Der Weg zum Remis ist 105... Kf5 106. Te7 Ta6 107.Txf7 Kg5 108. Tf8 Tb6 109. f7 Tg6+ 110. Kh7 Th6+ und der weiße König kann den Schachs nicht entkommen. Stattdessen spielte ich 105... Kd6 und nach 106. Kf8 Tb7 107. Te7 Tb1 108. Kxf7 Th1 109. Te2 gab ich auf. Ein wirklich deprimierendes Ende der Partie. Die Stellung befand sich 105 Züge lang im Gleichgewicht und mit einem Zug habe ich die ganze Arbeit weggeschmissen. Hier sehen wir aber einen wichtigen Grund dafür, theoretische Endspiele zu studieren. Nach 6 Stunden Spielzeit und in Zeitnot hat man oft nicht die Kapazitäten Varianten ordentlich zu rechnen (ich behaupte, würde mir diese Stellung im Training, bei frischem Kopf gezeigt werden, würde ich das Remis recht problemlos und sehr schnell finden). Aber in der Partie kommen Müdigkeit und psychologische Faktoren, wie Nervosität dazu. Diese ist natürlich gesteigert, wenn man die Stellungen nicht sicher einschätzen kann. Ich kann mir tatsächlich nicht erklären, warum dieses Motiv in meinem Kopf noch nicht abgespeichert war, aber zumindest werde ich es nach dieser Partie nie wieder vergessen und ihr jetzt hoffentlich auch nicht :-). In der nächsten Runde wurde mir Volker Bub zugelost. Gegen ihn spielte ich erst vor circa einem Monat in Bad Wiessee, allerdings mit vertauschten Farben. Ich gewann die Partie recht souverän und es gab keine Endspieldramen, daher gehen wir lieber direkt zur nächsten Runde. Denn in Runde vier spielte ich gegen den Iraner Amin Tabatabaei, der das kürzlich beendete El Llobregat Open gewinnen konnte. Hier erreichten wir nach einem sehr spannenden Mittelspiel die Stellung in Diagramm 4.
Hier hätte ich nach 39...Tg1 40.Txg1 Lxg1 gute Remischancen behalten, denn Weiß kann aufgrund der ungünstigen Stellung seines eigenen Läufers den schwarzen nicht gewinnen: 41. Th3+ Kg7 42. Tg3+ Kf6 43. Txg1 Kxe6. Leider wählte ich in Zeitnot einen anderen Weg und spielte: 39...Te8 40. Lf7 Tf8 41. Td7 und aufgrund diverser Abzüge verlor ich am Damenflügel bald einen zweiten Bauern. Da nur noch wenig Bauern auf dem Brett sind und Türme und ungleichfarbige Läufer das Remispotenzial steigern, hatte ich noch ein wenig Hoffnung und wäre fast belohnt worden.
Hier sollte man verhindern, dass der schwarze König von d4 vertrieben wird und 54... Lc5 spielen. Die Pointe ist 55. b4 Txd5! 56. exd5 Lxb4 und diese Stellung ist theoretisch Remis, da der weiße König abgeschnitten ist und Weiß den d-Bauern auf Dauer nicht behalten kann, da Schwarz in der Lage sein wird, ihn mit Ke5-Ld6 vom Turm abzuschirmen und dann abzuholen. Weiß ist natürlich nicht gezwungen in dieses Endspiel zu gehen, aber ansonsten hat Schwarz auch eine Festung. Ich wählte leider 54...La5, es folgte 55.Tc4+ und ich musste 31 Züge später die Waffen strecken. Wieder eine etwas enttäuschende Partie, obwohl ich zugeben muss, dass Tabatabaei die Partie auch deutlich früher hätte beenden können, sodass ich diese Chancen niemals hätte kriegen sollen. Das machte es für mich ein wenig leichter damit umzugehen.
Und weil es mich wirklich deprimiert, hier nur zu zeigen, wie viele "einfache" Endspiele ich in diesem Turnier versaut habe, schauen wir nun in meine Partie der fünften Runde, gegen den Belgier Tamer Ismail rein. Es sieht aus als hätte Schwarz die volle Kontrolle am Damenflügel erlangt und würde gleich den c-Bauern gewinnen. Was mein Gegner aber unterschätzt hat, ist dass dieser überschwängliche Angriff auf meinen c-Bauern seinen König recht einsam dastehen lässt. Ich spielte: 33. Lxg5 Sxc3 34. Tb7 Ta1+ 35. Kh2 Td1 36. Lf6! Txd2 37. Txg7+ Kh8 38. Sh4 Se7 39. Txe7+ Kg8 40. Sg6 und da Tg7# nicht mehr zu verhindern ist
gab mein Gegner auf.
Dieses Mattbild finde ich so hübsch, dass es mir ein weiteres Diagramm wert ist.
In letzten Runde vor dem Ruhetag erwartete mich dann der spanische GM Daniel Alsina Leal. Ich kam gut aus der Eröffnung, verlor aber im weiteren Partieverlauf einen Bauern. Da wir viel Material abtauschten und ungleichfarbige Läufer auf dem Brett behielten, hatte ich jedoch weiterhin sehr realistische Remischancen.
Wenn man hier die weiße Gewinnidee sieht, fällt es nicht mehr schwer auf den besten schwarzen Zug zu kommen. Man sollte 54...Kf7! spielen, sodass sich der schwarze König nach 55. Txe2 Lxe2 56. Kf2 La6 57.Ke3 Ke6 nach a8 orientieren kann. Dort angekommen ist Schwarz bereit seinen Läufer gegen die weißen Bauern aufzugeben, da der weiße Läufer die falsche Farbe für den a-Bauern hat. Ich spielte stattdessen 54...Txe5 55. Lxe5 Kf7 56. Kf2 Ke6 57.Kd4 und dieser Gegenangriff gibt Weiß ein entscheidendes Tempo. Der schwarze König kommt nicht mehr in die Ecke.
Zunächst scheint es aber, als würde das den Remismechanismus nur ein wenig erschweren und so landeten wir einige Züge später in Diagramm 9. Die schwarze Idee hier ist es, nach h5 den g-Bauern mit dem König aufzuhalten. Dann könnte der h-Bauer den weißen Läufer ablenken und der schwarze Läufer sich gegen den a-Bauern opfern. Klingt in der Theorie alles sehr gut, hat in der Praxis aber einen kleinen Haken, den ich beim Turmtausch leider verpasste. Mein Gegner spielte 65. h5! gxh5 66. g6 Kd7 67. g7 Ld5 68. Kb6 und ich gab wegen 68...Ke7 69.Kc5! auf, da ich keine Zeit habe gleichzeitig La8 und Kf7 zu ziehen.
Vor dem Ruhetag zu verlieren ist immer etwas bitter, da man die Niederlage gerne so schnell wie möglich ausgleichen möchte. Andererseits haben die ersten sechs Partien viel Kraft gekostet und es kam mir gelegen, mich ein wenig auszuruhen. Sitges ist eine schöne Stadt und die Lage direkt am Meer lädt zu langen Spaziergängen ein.
Leider merkte ich bereits am Morgen des Ruhetages, dass es mir gar nicht gut geht. Optimistisch wie ich bin, ging ich aber davon aus, dass meine Erkältung bis zum nächsten Tag natürlich auskuriert ist. Wie sich herausstellte war dies nicht der Fall, es wurde nur schlimmer. Es tat mir sehr leid für meine Gegnerin, da ich selbst spielfreie Partien immer sehr unangenehm finde, aber ich wollte mich in diesem Zustand auf keinen Fall ans Brett setzen, daher entschied ich aus dem Turnier auszusteigen. Ich hätte gerne weitergespielt, aber wenn der Kopf nicht mitmacht und der Körper damit beschäftigt ist, eine Krankheit zu bekämpfen, sollte man das lieber respektieren und sich Ruhe gönnen. Für mich war das das letzte Turnier in diesem Jahr. Es endete sehr abrupt und enttäuschend, aber zumindest habe ich viele interessante Partien gespielt und weiß nun, dass es Zeit ist verstärkt an Endspielen zu arbeiten :-) Ich wünsche euch allen frohe Weihnachten, bleibt gesund und rutscht gut ins Neue Jahr! Eure Josefine
PS: Die Partien des Turniers könnt ihr hier herunterladen: https://chess-results.com/tnr676762.aspx?lan=0&art=1&rd=10&fedb=ESP&fed=IND&turdet=YES&flag=30 Da könnt ihr bei Interesse dann auch die Partien der anderen deutschen Spieler und Spielerinnen anschauen.
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