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Writer's pictureJosefine Heinemann

Materielle Ungleichgewichte

Updated: Sep 21

In diesem Post möchte ich auf ein Thema eingehen, mit dem viele Probleme haben: materielle Ungleichgewichte. Wie schätzt man die Stellung am besten ein, wenn nicht beide Seiten die gleichen Figuren haben? Gibt es Kriterien, die bei der Einschätzung helfen können? Ich habe dieses Thema in fünf Gruppen aufgeteilt, die hoffentlich die am häufigsten vorkommenden materiellen Ungleichgewichte umfassen sollten: 1.) Qualität (Turm gegen Springer oder Turm gegen Läufer) 2.) Turm gegen zwei Leichtfiguren 3.) Dame gegen zwei Türme 4.) Dame gegen mehrere Figuren 5.) Leichtfigur gegen Bauern


1.Qualität


Betrachten wir zunächst ein paar Beispielstellungen und versuchen daraus ein paar Grundregeln abzuleiten:

Schwarz am Zug

In dieser Stellung hat Weiß zwei Bauern und einen Läufer für den Turm. Einer der beiden Bauern steht bereits auf e6 und ist daher ein Dorn im Auge des Schwarzen. Schafft Weiß es, den Springer auf f4 zu stabilisieren (mit h4-h5), ist dieser Bauer sehr sicher und zudem der schwarze König anfällig. Deshalb spielte Schwarz 1... g5!, der Springer muss weichen und Schwarz schafft es einen Turm zu tauschen, wonach der verbleibende Turm an Stärke zunimmt. Schwarz gewann danach problemlos.




Weiß am Zug

Auch in dieser Stellung hat Weiß zwei Bauern gegen die Qualität. Die erste Frage, die sich stellt, ist: Sollte man die Damen tauschen oder nicht? Die weißen Türme haben nahezu keine offenen Linien und vor allem keine Angriffsobjekte nach dem Damentausch,

sodass dieses Endspiel keine guten Aussichten für Weiß bietet. Daher spielte Weiß 1. Sd4!, vermied so den Damentausch und versuchte den Turm im Angriff zu nutzen.



Weiß am Zug

Wenige Züge später stand diese Stellung auf dem Brett. Die Frage ist nun, wie kann man mit dem Angriff durchschlagen? Dazu muss Weiß bereit sein, dass Mehrmaterial zurückzugeben: 1. Txh5 gxh5 2. Dh4 und Weiß wird auf h5 schlagen, Th2 spielen und auf der h-Linie Matt setzen. Weiß musste noch den ein oder anderen Trick umgehen, gewann aber überzeugend.




Schwarz am Zug

Für alle Sizilianischspieler bietet sich hier ein typischer Anblick: Schwarz kann auf c3 die Qualität opfern und damit den weißen König und die weiße Bauernstruktur schwächen. Zusätzlich wird der Springer nach a4 kommen, die Dame nach c7 und mithilfe von ...d6-d5 kann man auch noch die Läufer und den Springer von f6 in den Angriff einschalten. Nach 1...Txc3 ist die weiße Stellung direkt völlig hoffnungslos.


Weiß am Zug

Weiß entschied sich hier 1. Lxd5 Lxd1 2. Txd1 Dc7 3. c4 zu spielen. Wo ist die Kompensation für die Qualität? Schließlich hat man nur einen Bauern. Der Läufer auf d5 steht sehr stabil und kann niemals vertrieben werden. Dazu steht er auch sehr zentral, was dabei hilft, auf beide Flügel zu wirken. Er versperrt auch die d-Linie, was zur Folge hat, dass die schwarzen Türme auf keiner Linie wirklich aktiv werden können und wenn sie nur auf der 8. Reihe hin- und herziehen, warum sollten sie dann besser sein als der weiße Läufer? Weiß hat mehr als genug Kompensation und kann langsam an beiden Flügeln die Stellung verbessern.


Nachdem wir nun einige Beispiele gesehen haben, in denen eine Seite mit Qualität weniger im Mittelspiel(Damen auf dem Brett, Potenzial für Mattangriffe) spielt, können wir ein paar Prinzipien ableiten:

1.) Wenn die Türme keine offenen Linien haben, hat die Leichtfigur gute Chancen mitzuhalten.

2.) Hat man 1-2 Bauern für die Qualität und die Leichtfigur besetzt einen Vorposten, so ist die Leichtfigur häufig nicht schlechter als der Turm.

3.) Grundsätzlich kommen Figurentäusche der Turmseite entgegen. In manchen Fällen kann man aber ausnutzen, dass ein Turm stärker ist als eine Leichtfigur und diesen im Mattangriff nutzen.


Weitere Details zu den Stellungen gibt es übrigens in diesem Video:



Nun stellt sich natürlich die Frage, ob sich etwas ändert, wenn die Damen bereits getauscht sind und kein Königsangriff in Sicht ist. Daher habe ich auch hierzu einige Beispielstellungen rausgesucht:


Weiß am Zug

Schwarz hat einen Bauern für die Qualität, kann in dieser Stellung aber natürlich nicht auf mehr hoffen, als die Stellung zu halten. Die Fragen, die sich für Weiß stellt ist, ob man die schwarze Festung durchbrechen kann. Weiß versuchte es mit: 1. Te1 und möchte die g- und h-Bauern angreifen. Schwarz verhinderte dies mit 1...Sd6 und dann folgte 2.b5!!. Weiß öffnen eine weitere Linie, die möglichst weit weg von der bereits offenen f-Linie ist. Schwarz kann nicht gleichzeitig das Eindringen auf der f- und auf der a-Linie vermeiden und kann daher die Stellung nicht halten.


Weiß am Zug

Auch in dieser Stellung hat Schwarz Hoffnungen auf eine Festung. Der Bauer auf d3 ist gut gedeckt und bindet beide weißen Figuren, da er sonst umwandelt. Hier gibt es nur einen Plan für Weiß: Abwickeln ins gewonnene Bauernendspiel. Dafür muss man den König vom d-Bauern abschneiden: 1. Td5 Kc3 2. Tc5+ Kb4 3. Txf5 und das entstehende Bauernendspiel ist gewonnen, weil der schwarze König zu weit weg vom Königsflügel ist.





Weiß am Zug

Die Situation ist ähnlich wie im letzten Beispiel. Schwarz hat einen Bauern für die Qualität und einen sehr stabilen Läufer, der diesen Freibauern auf g2 verteidigen wird. Hier ist aber noch ein zusätzliches Turmpaar auf dem Brett. Wie sollte Weiß die Stellung handhaben?1. Tf1+! Kg6 2. Tcf7 und aufgrund der Mattdrohung bleibt Schwarz nichts anderes übrig als mit 2...Tg7 die Türme zu tauschen. Der weitere Plan für Weiß ist ähnlich wie im letzten Beispiel: Man muss unter guten Bedingungen ins Bauernendspiel tauschen. Das erfordert etwas Finesse, ist aber auf verschiedene Arten möglich.


Schwarz am Zug

Wieder hat Schwarz einen Bauern für die Qualität, reicht das aus? Für Schwarz spricht in jedem Fall, dass es keine offenen Linien für die weißen Türme gibt (die c-Linie ist durch den schwarzen Springer blockiert), dass der d5-Bauer recht schwach ist und dass die e- und f-Bauern von Schwarz flexibel sind. Weiß hat kein aktives Potenzial und kann nur abwarten, ob Schwarz signifikante Fortschritte erzielen kann. Schwarz sollte langsam die Stellung mit ...f7-f5, ...Kf7-e7-d7 verbessern. In der Partie gelang es Schwarz mit geduldigem Spiel letztendlich zu gewinnen.


Schwarz am Zug

Schwarz hatte gerade auf g5 die Qualität geopfert. Hier hat man nicht einmal einen Bauern dafür, dennoch hat Schwarz dies nicht zur Verteidigung getan, sondern um auf Gewinn zu spielen. Die Argumente dafür sind, dass alle schwarzen Bauern so stabil durch die Läufer gedeckt sind, dass Weiß keinerlei Angriffsobjekte hat. Natürlich ist es auch sehr wichtig, dass Weiß keine Chance hat einen Freibauern zu bilden. Der schwarze Plan ist es, mit dem König auf den schwarzen Feldern nach b4 zu laufen und die weißen schwachen Bauern anzugreifen. Weiß hat dem wenig entgegenzusetzen und kann nur hoffen, dass die Stellung hält.



Welche Prinzipien können wir für das Spielt mit Qualität mehr/weniger im Endspiel ableiten?:

1.) Je weniger Figuren auf dem Brett sind, desto wichtiger ist es, den Abtausch in ein gewonnenes Bauernendspiel im Blick zu haben. 2.) Die Turmseite versucht grundsätzlich mit nur einem Turm zu spielen, während die andere Seite gerne ein weiteres Turmpaar auf dem Brett hat. 3.) Endspiele mit Qualität weniger sind dann vielversprechend, wenn der Turm keinen Weg hat in die Stellung einzudringen und die Leichtfigur einen Vorposten besetzt. Dazu sind natürlich Bauernschwächen auf der Turmseite notwendig.


Weitere Details zu den Stellungen gibt es in diesem Video:


2. Turm gegen zwei Leichtfiguren


Betrachten wir folgende Beispielstellungen, um das Ungleichgewicht im Mittelspiel zu verstehen:


Schwarz am Zug

Schwarz hat in dieser Stellung Turm und einen Bauern für die beiden weißen Leichtfiguren. Materiell ist das in Ordnung und die beiden entfernten Freibauern am Damenflügel können beängstigend wirken. Mit Damen auf dem Brett können die Leichtfiguren aber einen Königsangriff starten und genau das ist hier das entscheidende Kriterium - der schwache schwarze König. Es folgte: 1...f6 2. Se6 Tg8 3. Ld4 und ballte opferte sich der weiße Springer auf g7 und nahm die schwarze Stellung auseinander.



Weiß am Zug

In dieser Stellung kann Weiß auf c4 schlagen und so sogar mit zwei Bauern+Turm gegen die beiden schwarzen Läufer spielen. Dennoch ist die Stellung sehr gefährlich für Weiß, warum? Je mehr Figuren auf dem Brett sind, desto größer ist das Potenzial für die beiden Leichtfiguren bei der Koordination eines Königsangriffes zu helfen. Das ist auch hier der Fall, da die langen Diagonalen sehr geschwächt sind. Es folgte 1. Lxc4 bxc4 2. Dxc4 Tf8 und nun versuchte Weiß die Drohung ...Lxf4 mit 3. Td4 zu verhindern, verlor aber wegen 3...Le5 die Qualität und wenig später die Partie.


Weiß am Zug

In dieser Stellung hat Weiß sogar vier Bauern und einen Turm für zwei schwarze Leichtfiguren, dennoch ist die weiße Stellung völlig hoffnungslos! Drei dieser weißen Bauern stehen nutzlos am Damenflügel rum und können sich aufgrund des Drucks gegen den weißen König nicht bewegen. Schwarz hingegen ist drauf und dran, alle Figuren in Richtung des weißen Königs zu bringen, es folgte: 1. Tg1 Te8 2. Le3 Sg5 3. Tf4 Sh3 und Schwarz gewann bald Material.




Schwarz am Zug

In dieser Stellung hat Weiß zwei Bauern und einen Turm für die beiden schwarzen Leichtfiguren. Materiell ist das gut, doch gibt es hier einen Königsangriff zu befürchten? Diese Frage ist hier recht leicht zu beantworten, denn die weißen Bauern auf g2 und f3 neutralisieren den schwarzen Läufer sehr effektiv. Zudem haben die schwarzen Leichtfiguren keine Vorposten, was es schwer macht, sie aktiv zu stellen, ohne sie angreifbar zu machen. Der letzte weiße Vorteil ist, dass durch die beiden Mehrbauern auch Endspiele besser sind.



Schwarz am Zug

Weiß hat hier einen Turm und einen Bauern für zwei Leichtfiguren. Bei allem, was wir bisher gesehen haben, sollte Schwarz besser stehen, weil noch sehr viele Figuren auf dem Brett sind. Allerdings sind die konkreten Faktoren der Stellung immer wichtiger als allgemeine Erwägungen und hier können wir schnell feststellen, dass die weißen Figuren sehr aktiv stehen und Schwarz Probleme hat, den Damenflügel zu entwickeln. In der Partie folgte: 1...b5 2. Tc6! Df7 3. Sc7 Sxc7 4. Txc7 und Schwarz war völlig paralysiert und gab wenige Züge später auf.


Formulieren wir nun einige Richtlinien für das Spiel mit zwei Leichtfiguren gegen einen Turm und Bauer(n) im Mittelspiel:

1.) Im Allgemeinen sind zwei Leichtfiguren im Mittelspiel dem Turm überlegen, weil das Brett noch voll ist und der Turm daher in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt ist. Zudem sind Leichtfiguren sehr gut im Königsangriff.

2.) Die Seite mit den zwei Leichtfiguren sollte gegen den gegnerischen König spielen!

3.) Die Turmseite versucht Figuren abzutauschen, weil der Turm mit weniger Figuren auf dem Brett stärker wird.

Weitere Details zu den Stellung gibt es in diesem Video:


Schauen wir nun einige Beispiele im Endspiel an:


Schwarz am Zug

Weiß hat zwei Leichtfiguren für einen Turm und zwei Bauern. Allerdings fällt sofort auf, dass die schwarzen Türme enorm eingeschränkt werden, weil der Läufer auf d6 das Feld b8 verteidigt. Auch der a-Bauer wird momentan ungern ziehen, weil dann das Feld b6 für einen weißen Springer frei wird. Trotz des bereits reduzierten Materials ist der schwarze König alles andere als sicher und deshalb ist die weiße Stellung zu bevorzugen. Schwarz spielt 1...Kc8 und nach 2. Kd3 Td8 3. Kc4 Td7 4. Kd5 drang der weiße König in die schwarze Stellung ein und Schwarz hatte es immer noch nicht geschafft, einen Turm zu aktivieren.


Weiß am Zug

In dieser Stellung hat Schwarz zwei Leichtfiguren für den Turm, was einen kleinen materiellen Vorteil darstellt. Zudem findet das Spiel an einem Flügel statt, was gut für die Leichtfiguren(insbesondere den Springer) ist. Das sehr reduzierte Material gibt Weiß dennoch Remischancen, allerdings muss man lange leiden. Weiß spielte hier 1. gxh3, um weitere Bauern abzutauschen, aber nach 1...Kf4 2.Ta4+ Lc4+ 3.Kf2 f6, gruppierte Schwarz langsam die Figuren um und nahm schließlich den f-Bauern weg. Dann lief der schwarze f-Bauer durch.



Weiß am Zug

Schwarz hat gerade den Turmtausch angeboten. Weiß sollte diesen annehmen, da der Turm gegen zwei Leichtfiguren am liebsten alleine spielt. Zudem bekommt man die Möglichkeit, die schwarzen Figuren zurückzudrängen: 1.Txa8 Lxa8 2. g4 Sfe7 3. f5+. Die schwarzen Leichtfiguren haben keine Stützpunkte und Weiß kombinierte das Spiel gegen den schwarzen König mit dem Bilden eines Freibauern am Königsflügel und gewann schnell und problemlos.




Weiß am Zug

Der letzte schwarze Zug war ...c4. In dieser Stellung ist es sehr wichtig zu verstehen, dass der Turm zum a-Bauern kommen muss. Irgendwie muss Schwarz einen Freibauern bilden, dann hat man sehr gute Chancen. Dazu macht Schwarz Gebrauch von Durchbruchsmotiven. Weiß spielte 1. Lxc4 Tc8! und Schwarz möchte auf c4 opfern, um einen Freibauern zu erhalten, weil der Springer auf der anderen Seite des Brettes zu weit entfernt steht. Es folgt 2. Ld3 a3 und der a2-Bauer war als Schwäche festgelegt. Im weiteren Verlauf musste Weiß extrem genau spielen, um nicht zu verlieren, was schlussendlich misslang.


Kommen wir nun zu den Prinzipien, die wir aus diesen Beispielen ableiten können:

1.) Die Seite mit den beiden Leichtfiguren hätte gerne ein zusätzliches Turmpaar auf dem Brett, weil die Leichtfiguren besser mit anderen Figuren zusammen arbeiten.

2.) Beim Spiel an einem Flügel sind die Leichtfiguren zu bevorzugen, bei Spiel an zwei Flügeln, insbesondere wenn Freibauern involviert sind, ist der Turm zu bevorzugen, weil dieser schnell von einem zum anderen Flügel kann.

3.) Die Leichtfiguren brauchen Stützpunkte, oder zumindest stabile Felder.


Die Details zu den jeweiligen Stellungen gibt es in diesem Video:


3. Dame gegen zwei Türme


Betrachten wir folgende Beispiele, um das Ungleichgewicht im Mittelspiel(mit weiteren Figuren auf dem Brett) zu verstehen:


Schwarz am Zug

Auf den ersten Blick denkt man, dass Schwarz hier besser steht, denn man hat zwei Türme(10 Punkte) für die Dame(9 Punkte). Aber wie üblich ist diese Sichtweise zu oberflächlich. Zwei Türme sind stärker als die Dame, wenn sie sich ein gemeinsames Angriffsziel suchen können, was die Dame nur einmal verteidigen kann. In dieser Stellung kann man aber schnell feststellen, dass es überhaupt keine Angriffsobjekte in der weißen Stellung gibt(auch wegen des Läufers auf e3). Stattdessen fällt auf, dass der schwarze König geschwächt ist und Weiß hat dies langsam und systematisch mit dem Vormarsch der Bauern am Königsflügel nachgewisen.


Schwarz am Zug

Mit Kenntnis der letzten Stellung sollte die Einschätzung dieser leichter fallen - Schwarz hat zwar zwei Türme für die Dame, aber Weiß ist in der Lage einen Königsangriff zu starten und die Türme haben keine klaren Angriffsobjekte. Zusätzlich verstärken die ungleichfarbigen Läufer das Angriffspotenzial und Schwarz konnte in der Partie nur zuschauen, wie Weiß den Bauern langsam nach g6 brachte.





Schwarz am Zug

Diese Stellung stellt das komplette Gegenteil zu den beiden vorherigen dar. Die schwarze Dame würde gerne f2 angreifen, aber dieser Punkt ist zuverlässig gedeckt. Weiß hingegen hat leichtes Spiel gegen f7 und kann so direkt das Spiel gegen den schwarzen König starten. Dieser kann sich alleine nicht gegen die Kraft der weißen Türme und des Läufers wehren und wurde bald Matt gesetzt.





Formulieren wir nun einige Richtlinien für das Spiel mit zwei Türmen gegen die Dame im Mittelspiel:

1.) Entgegen der "alten" Theorie, ist die Dame im Zusammenspiel mit anderen Figuren selten schlechter als zwei Türme.

2.) Der entscheidende Faktor ist die Königssicherheit. Die Seite, die einen Königsangriff bekommt, steht normalerweise besser.

3.) Die Dame möchte mehr Material auf dem Brett behalten, weil sie auf vollem Brett beweglicher ist als zwei Türme.


Weitere Details zu den Stellungen gibt es in diesem Video:



Schauen wir nun einige Beispiele an, in denen es keine anderen Figuren als Dame und Türme auf dem Brett gibt:


Weiß am Zug

In dieser Stellung springt einem sofort die Schwäche des weißen Königs ins Auge. Zudem fällt auf, dass auch der Bauer auf h2 schwach ist, d.h. selbst wenn Weiß die Matts abwenden kann, wird der Bauer auf h2 fallen und Schwarz verbleibt mit einem starken Freibauern auf der dritten Reihe. Die weißen Türme sind noch absolut nicht koordiniert und somit reichen die eben genannten Faktoren aus, um die Stellung für Weiß unhaltbar zu machen.




Schwarz am Zug

Weiß hat hier einige Bauern und die Dame für die beiden schwarzenTürme. Dennoch sieht es nicht leicht aus, diese Stellung zu verwerten, denn die Türme auf der sechsten Reihe bauen eine gute Blockade auf, sodass Weiß keinen Freibauern durchpressen kann. Deshalb muss man gegen den schwarzen König spielen und die Türme destabilisieren. Dazu wird man die Bauern auf die fünfte Reihe stellen und den Türmen die Felder nehmen. Anschließend wird die Dame von hinten angreifen. Weiß gewann.



Schwarz am Zug

Wenn man sich die Stellung des schwarzen Königs anschaut, ist es offensichtlich, dass er große Probleme hat. Weiß hat sich in der Partie allerdings nicht allzu gut angestellt und konnte den Mattangriff nicht überzeugend führen. Stattdessen konzentrierte sich Weiß darauf, die vereinzelten Bauern wegzunehmen, wobei die schwarze Dame nur traurig zusehen konnte, denn die Türme können jeden Bauern zweimal angreifen, während er nur einmal verteidigt werden kann. So fiel ein Bauer nach dem anderen und dann lief ein weißer Freibauer.



Weiß am Zug

Hier haben wir ein weiteres typisches Endspiel, in dem man die Stärke der Türme deutlich sieht. Weiß hat hier die Möglichkeit 1.Tcf6 zu spielen und den Bauern auf f7 anzugreifen. Weiß droht dann einfach zu schlagen und in ein gewonnenes Bauernendspiel überzugehen. Schwarz hat dem nichts entgegenzusetzen.







Kommen wir nun zu den Prinzipien, die wir aus diesen Beispielen ableiten können:

1.) Ohne andere Figuren sind die beiden Türme häufig stärker als die Dame.

2.) Die Damenseite muss es schaffen, die Koordination der Türme zu zerstören. Das gelingt meistens dadurch, den Türmen stabile Felder zu nehmen.

3.) Die Damenseite ist besser, wenn man einen direkten Königsangriff führen kann.


Die Details zu den jeweiligen Stellungen gibt es in diesem Video:


4. Dame gegen mehrere Figuren


Betrachten wir folgende Beispiele, um das Ungleichgewicht im Mittelspiel(mit weiteren Figuren auf dem Brett) zu verstehen:


Schwarz am Zug

In dieser Stellung können wir das Ungleichgewicht Dame gegen drei Leichtfiguren erkennen. Normalerweise sind die drei Leichtfiguren stärker, aber hier sind sie wirklich schlecht koordiniert und stehen überall verteilt. Wichtig ist es in solchen Situationen, den Figuren keine Zeit zu geben sich zu koordinieren. Deshalb spielte Schwarz 1...b5! 2. Se5 De4+ 3. Kd1 dxc3 4. Lxc3 b4!. Weiß bekam keinerlei Zeit und musste sich dauerhaft verteidigen. Daher konnten die schlechtstehenden Figuren nicht aktiviert werden und die schwarze Dame bereitete dem König zu große Probleme.


Schwarz am Zug

Diese Stellung entstand aus einer Theorievariante der Grünfeldindischen Verteidigung. Weiß opfert die Dame gegen drei Leichtfiguren und behauptet, dass der schwarze König Probleme bekommt, weil die Leichtfiguren so aktiv sind. Hier kann man bereits sehen, dass Weiß einen sehr starken Angriff hat und die Figuren super zusammenspielen. Es folgte 1...Dd4 2. Te2 c6 und hier verpasste Weiß mit 3. Sc7 einen recht leichten Sieg.





Weiß am Zug

Schwarz bekam in dieser Stellung nur zwei Leichtfiguren und den Bauern auf e3 für die Dame. Dennoch wird die weiße Stellung schwieriger, je länger man sie sich anschaut. Das Hauptproblem sind die schwarzen Felderschwächen und die schlechte, unflexible Bauernstruktur. Dazu kommt, dass die weißen Figuren kaum gute Felder haben und daher nicht aktiv spielen können. In der Partie konnte Weiß diese Probleme nicht lösen und Schwarz dominierte trotz des auf dem Papier großen Materialnachteils.



Formulieren wir nun einige Richtlinien für das Spiel mit Dame gegen drei Figuren im Mittelspiel:

1.) Im Allgemeinen sind drei Figuren stärker als die Dame, weil sie gut koordiniert eine Schwäche mehrmals angreifen können. Zudem sind sie nicht so anfällig gegenüber Angriffen(schließlich sind sie einzeln weniger wert als die Dame).

2.) Der entscheidende Faktor ist die Koordination der Figuren. Sind diese schlecht koordiniert, so ist die Dame besser und sollte dafür sorgen, dass die Koordinierung im weiteren Verlauf unmöglich gemacht wird.

3.) Tendenziell möchten die drei Figuren lieber mehr Material auf dem Brett haben, weil das den Bewegungsradius der Dame einschränkt.


Weitere Details zu den Stellungen gibt es in diesem Video:


Schauen wir nun einige Beispiele an, in denen die Dame alleine spielt:


Schwarz am Zug

Materiell ist diese Stellung völlig unklar. Schwarz hat Turm und zwei Läufer gegen die Dame und drei Bauern. Das Hauptproblem von Schwarz hier ist, dass der König etwas nackt ist und dass die weißen Bauern die Dame im Angriff unterstützen können. Genau so lief es auch in der Partie - Weiß brachte den Bauern nach h5, sodass der weißfeldrige Läufer destabilisiert wurde. Schwarz hatte mit aktivem Spiel gegen den weißen König noch Rettungschancen, war aber nicht konsequent genug und verlor schließlich.



Schwarz am Zug

In dieser Stellung ist der materielle Vorteil(Dame gegen Läufer+Turm) von Weiß offensichtlich. Die Frage in solchen Stellungen ist immer, ob die schwächere Seite eine Festung aufbauen kann. Essentiell für eine Festung ist es, stabile Felder für die Figuren zu finden - hier sieht man schon, dass Weiß mithilfe von f5 versucht dem Turm stabile Felder auf der 6. Reihe zu nehmen. Anschließend muss Weiß sich den Weg zum schwarzen König bahnen(g4-g5). In der Partie konnte Weiß eine Gewinnstellung erreichen, verwertete diese aber nicht.



Schwarz am Zug

Dieses Beispiel dient vor allem dazu, noch einmal klar zu machen, dass der Wert des Materials relativ ist und sehr von den konkreten Eigenschaften der Stellung abhängt. Die schwarze Dame ist hier kein Stück besser als der weiße Turm in Kombination mit dem Freibauern auf c7. Wichtig ist hier festzustellen, dass dies nur der Fall ist, weil die Dame den Bauern blockiert und sich daher nicht bewegen kann. Weiß muss in dieser Stellung einen Freibauern am anderen Flügel bilden, um die Dame zu überlasten.



Kommen wir nun zu den Prinzipien, die wir aus diesen Beispielen ableiten können:

1.) Die Dame wird etwas stärker auf leerem Brett, ist jedoch trotzdem nicht grundsätzlich überlegen.

2.) Die Damenseite muss es schaffen, den Figuren stabile Felder zu nehmen. Zusätzlich sollten die eigenen Bauern in den Angriff mit einbezogen werden.

3.) Figuren sind nur so stark, wie ihre Wirkung. Eine Dame ist unglaublich schlecht im Blockieren von Freibauern.


Die Details zu den jeweiligen Stellungen gibt es in diesem Video:


5. Leichtfigur gegen Bauern


Schauen wir zunächst einige Stellungen an, in denen mehrere Bauern gegen eine Leichtfigur spielen:

Weiß am Zug

Offensichtlich ist der schwarze König in dieser Stellung sehr schwach. Aber Schwarz hat zwei Leichtfiguren gegen nur drei Bauern. Wenn man es schafft, diese Bauern zu blockieren, dann wird Weiß keinen Angriff mehr haben, weil die Dame alleine nicht Matt setzen kann. Deshalb spielte Weiß 1.d5! Lf5 2. e6+ Ke8 3. Dxg7. So langsam wird klar, dass die weißen Bauern sehr gefährlich werden. Zudem stellt man fest, dass die schwarzen Figuren aufgrund der weit vorgerückten Bauern wenig Felder finden. Die Stellung ist weiterhin kompliziert und Weiß verpasste später den Sieg.


Weiß am Zug

Diese verrückte Stellung entsteht aus einer bekannten theoretischen Variante. Weiß entschied sich hier die Damen zu tauschen, was aber nicht optimal ist, da es Schwarz einen weiteren Freibauern gibt. Nach 1. Dxd5 cxd5 2. Sd2 Tac8 3. Thc1 e5 4. Kd1 f5 und plötzlich wurden die schwarzen Bauern stark. Stattdessen sollte man wenn dann Schwarz auf e5 schlagen lassen, weil die Bauern dann schwieriger vorlaufen können.




Weiß am Zug

Diese Stellung entstand aus der gleichen Eröffnung und dieses Mal hat Weiß besser gespielt. Die Damen sind noch auf dem Brett und der weiße Angriff geht los: 1. Th3 h6 2. Lc4 Td2 3. Tg3 Sd5 4. Tf1 und alle weißen Figuren machen im Angriff mit. Hier kann man den großen Vorteil einer Mehrfigur sehen: Man hat automatisch mehr Angreifer als Verteidiger, weil selbst wenn die verteidigenden Seite alle Figuren in die Verteidigung beordert, hat man selbst noch eine mehr, die angreifen kann.




Formulieren wir nun einige Richtlinien für das Spiel mit einer Mehrfigur gegen einige Bauern im Mittelspiel:

1.) Die Seite mit der Mehrfigur ist häufig gut beraten, einen Königsangriff zu starten, weil man automatisch mehr Angreifer als Verteidiger hat.

2.) Die Bauernseite möchte möglichst weit vorgerückte verbundene Bauern haben, da diese die gegnerischen Figuren einschränken.

3.) Eine Mehrfigur bedeutet nicht unbedingt Material tauschen! Man sollte dies nur unter guten Umständen tun und nicht zu viele Zugeständnisse machen.


Weitere Details zu den Stellungen gibt es in diesem Video:


Schauen wir nun einige Beispiele aus dem Endspiel an:


Weiß am Zug

Schwarz hat in diesem Endspiel drei Bauern für die Leichtfigur, materiell ist das also ausgeglichen. Das Problem ist, dass die Bauern noch recht weit hinten stehen und dass der Bauer auf a5 sehr schwach ist. Es folgte: 1. Lf3 d4 2. Kc2 e5 3. Ld5+ Kf8 4. Kd2 f5 5. Tc7 und plötzlich bekommen die schwarzen Bauern auf der siebten Reihe große Probleme. Weiß nahm in der Partie einen nach dem anderen weg und gewann.




Weiß am Zug

Diese Stellung ist sehr typisch für die Najdorfvariante mit Lg5. Weiß hat eine Leichtfigur für drei verbundene Freibauern geopfert. Weiß spielte 1. Txa6 Lxa6 2. f3. Die weißen Bauern in dieser Stellung sind sehr sicher und es ist nicht leicht für die schwarzen Figuren gute Felder zu finden. Weiß wird langsam die Bauern am Damenflügel vorrücken und so noch mehr Felder von den schwarzen Figuren vereinnahmen. Das wichtigste ist, dass man keine Blockade zulässt.



Weiß am Zug

Hier hat Schwarz sogar vier Bauern für die Leichtfigur, dementsprechend ist klar, dass nur Schwarz auf Gewinn spielt. Wenn man solche Stellungen halten möchte, dann muss man die Bauern irgendwie blockieren. Deshalb sollte Weiß hier 1.e4 f4 2. Sxe5+ dxe5 3. Lf1 Tc2+ 4.Le2 spielen. Der Turm wird dann von hinten die schwarzen Bauern nerven. Natürlich steht Schwarz immer noch besser, aber Weiß sollte die Stellung halten. Stattdessen folgte: 1. Sxe5+ dxe5 2. Lf1 und hier konnte Schwarz mit 2...e4 leicht gewinnen.



Kommen wir nun zu den Prinzipien, die wir aus diesen Beispielen ableiten können:

1.) Die Seite der Leichtfigur sollte versuchen die Bauern zu blockieren und sie dann anzugreifen.

2.) Die Bauern wollen möglichst gemeinsam nach vorne laufen, sodass sie schlechter gestoppt werden können.

3.) Für die Bauern ist es besser, wenn nur an einem Flügel gespielt wird, weil es dann leichter ist, die Bauern zu verteidigen.


Die Details zu den jeweiligen Stellungen gibt es in diesem Video:


Was kann man als Fazit aus diesen vielen verschiedenen Materialungleichgewichten mitnehmen? Am Ende ist die Figurenaktivität meistens das ausschlaggebende Kriterium. Wenn man das im Hinterkopf behält, dann werden einem solche unausgeglichenen Stellungen schon leichter fallen.


Ich hoffe, dass dieser Artikel lehrreich war und euch gefallen hat! Über Feedback freue ich mich natürlich.


Bis zum nächsten Mal,Josefine

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