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El Llobregat Open und der Chancentod

Vom 30.11.-08.12. spielte ich beim El Llobregat Open in Sant Boi de Llobregat, einer kleinen Stadt nahe Barcelona, mit. Bereits im letzten Jahr nahm ich an diesem Turnier teil und spielte eines der schlechtesten Turniere meines Lebens, trotzdem wollte ich es dieses Jahr nochmal versuchen. Die Partien starteten erst um 17 Uhr, sodass es am Vormittag viel Zeit gab, die Umgebung ein wenig zu erkunden.

Ich setzte dabei auf tägliche Spaziergänge in der Stadt, andere fuhren sogar zum Sightseeing nach Barcelona (circa 45 Minuten mit öffentlichen Verkehrsmitteln). Die Stadt wird durch viele kleine Gassen mit Bars ausgezeichnet. Etwas gewöhnungsbedürftig war es für mich, dass sowohl Restaurants als auch Supermärkte erst sehr spät öffneten. Darauf sollte man jedoch in ganz Spanien vorbereitet sein, da es hier üblich ist erst sehr spät zu essen. Aber kommen wir zum Turnier. In der ersten Runde hatte ich spielfrei, weil mein Gegner Vitaly Bernadskiy wohl vergessen hatte abzusagen und nicht zum Turnier erschien. Es war schade, eine Partie gegen einen so starken Gegner nicht spielen zu können, aber der positive Effekt war, dass mir für die nächsten Runden starke Gegner garantiert waren. So spielte ich in Runde 2 gegen den englischen IM Brandon Clarke. Ich opferte in der Eröffnung einen Bauern und erhielt eine starke Initiative, bis wir die Stellung in Diagramm 1 erreichten.

Diagramm 1: Stellung nach 21...fxe5

Bis hierhin hatte ich die Partie stark gespielt, doch nun ist es an der Zeit einen konkreten Weg zu finden, den Vorteil umzusetzen. Dem Computer gefällt meine Fortsetzung, allerdings denke ich, dass es praktisch viel besser war hier 22.Lxa6! zu spielen. Es droht 23.Lb5 mit Damengewinn, also muss Schwarz 22...bxa6 spielen, dann folgt 23. Tb8 Le7 24. Txc8+ Ld8 25. Dc5 exd4 26.Lg5 und Weiß gewinnt das geopferte Material und noch mehr zurück. Stattdessen spiele ich 22.Tc3 Se7 23.Tc7 (hier wäre 23.Sf3 noch ausreichend gewesen, da nach 23...Sc6 24.Sxe5 Sxe5 Tc8+ +- folgt) und nach 23...Dd6 24. Sb5 axb5 25. Lxb5+ Kb7 dachte ich, die Stellung sollte völlig gewonnen sein, weil der schwarze König so schlecht steht. Leider entspricht dies nicht der Wahrheit und Weiß hat hier sogar keinen Weg mehr die Stellung zu halten! In gewonnenen Stellungen sollte man lieber den einfachen und klaren Weg wählen als den hübschen! Ich hatte 22.Lxa6 sogar berechnet, war aber zu überzeugt von meiner Idee, den Turm nach c7 zu stellen. Ein etwas trauriger Einstand, aber zumindest hatte ich mir eine gewonnene Stellung gegen einen Spieler mit fast 2500 Elo erspielt und hatte Hoffnung, dass ich im weiteren Turnierverlauf solche Stellungen dann auch gewinne. Am Tag der dritten Runde gab es am Vormittag noch ein weiteres Highlight, das Masters Blitz, an dem nur GMs, WGMs, Spieler mit 2500+ und IMs, die vor 1972 geboren sind teilnehmen durften. Wir spielten 9 Runden um einen Preisfond von 7700€.


Ich hatte dabei durchweg sehr starke Gegner und konnte sogar zwei GMs schlagen. Am Ende erzielte ich 4,5/9 und wurde 3. in der Frauenwertung. Vor mir landeten Antoaneta Stefanova und Aleksandra Maltsevskaya, herzlichen Glückwunsch an die beiden! Das Blitzturnier war sehr aufregend und verbesserte meine Laune natürlich enorm, am Nachmittag musste aber wieder klassisches Schach gespielt werden. In der Partie überrasche mich mein Gegner mit einer sehr seltenen Variante in der Tarrasch-Verteidigung und ich überlebte die Eröffnung nicht. So langsam verstärkte sich die Angst in mir, dass das Turnier wieder so ein Desaster wie im letzten Jahr wird. Vor der nächsten Partie konnte ich mich aber wieder ablenken, denn am Morgen vor Runde 4 stand das Frauenblitzturnier an. Da recht wenige Spielerinnen anwesend waren, wurde entschieden, dass wir statt der geplanten 9 Runden nur 7 spielen. Ich startete denkbar schlecht mit 0,5/2, konnte dann aber vier Partien in Folge gewinnen und spielte in der letzten Runde sogar um den Turniersieg. Leider lief die letzte Partie gar nicht gut und meine Gegnerin Atousa Pourkashiyan gewann nicht nur die Partie sondern auch das Turnier. Am Ende wurde ich 5. Kein schlechtes Ergebnis, aber nach dem Vortag hatte ich mir natürlich mehr erhofft :-). Am Nachmittag spielte ich dann gegen einen jungen andorranischen Nationalspieler und konnte die Partie recht souverän mit den schwarzen Steinen gewinnen. In Runde 5 durfte ich dann wieder gegen einen GM spielen, Christophe Sochacki aus Frankreich, und erzielte ein recht ereignisloses Remis mit den weißen Steinen. In Runde 6 bekam ich nochmal Weiß gegen einen spanischen IM und erreichte eine vielversprechende Stellung.


Diagramm 2: Stellung nach 26...Kd8

Wir tauschten früh die Damen und mein Gegner behandelte das entstandene Endspiel nicht besonders gut, sodass ich sehr aktive Figuren erhielt und mit einigen weiteren genauen Zügen wohl die Partie nach Hause bringen könnte. Hier sollte Weiß 27.Ta7 spielen, um 27...Kc7 zu verhindern. Ich erwartete in der Partie 27...Kc8, doch hier kann ich einfach 28.b4 spielen, da 28...Tb7 an 29. Sd8+ und 30. La6 scheitert! Leider übersah ich, dass 28...Tb7 nicht möglich ist, denn ohne diesen Zug ist Schwarz völlig paralysiert und ich hätte die Stellung sicher sehr gerne gespielt. Stattdessen wählte ich einen recht direkten, aber deutlich weniger starken Weg: 27. b4 Kc7 28. Ta7+ Tb7 29. Ta1 Tb8 30. Tg1 Tg8 31. e5 und nun fand mein Gegner die beste Verteidigung 31...b5! 32. Se3 Sf8. Der Gewinn ist hier schon alles andere als gesichert und ich spielte eine weitere Ungenauigkeit: 33. Ke3, nun ist die Stellung nach 33...Se6 34. Ke4 Tf8 wieder ausgeglichen und endete bald im Remis. Wieder eine vertane Chance! Am nächsten Tag bekam ich zur "Strafe" Ex-Weltmeisterin Antoaneta Stefanova mit Schwarz. Nach einer ungewöhnlichen Zugfolge im Trompowsky verbrauchten wir beide bereits früh viel Zeit und erhielten eine verrückte Stellung.


Diagramm 3: nach 10.cxd5

Hier könnte ich mit 10...exd5 einfach einen Bauern gewinnen, da nach 11. Sf3 Sc6 Weiß den Bauern nicht so einfach zurückbekommt. Zudem bleibt der weiße König in der Mitte und Schwarz sollte signifikanten Vorteil haben. Stattdessen spielte ich auf schnelle Entwicklung mit 10...0-0. Es folgte 11.Sf3 exd5 12. Sxe5 13. Dxe5 f6. Wenn Weiß den Bauern auf d5 nimmt, bekommt Schwarz sehr schnelle Entwicklung, das schien sowohl mir als auch Antoaneta zu gefährlich, daher spielte sie 14. Lxf6 Txf6 15.Dd4! und Weiß kann die Stellung zusammenhalten. Im weiteren Verlauf endete die Partie recht ereignislos remis. Nach 10...exd5 wäre die Stellung natürlich noch nicht gewonnen, aber die Chancen lägen nur auf meiner Seite und mit wenig Zeit könnte die Stellung schnell schwierig werden für Weiß. In Runde 8 spielte ich eine sehr schlechte Partie und verlor chancenlos gegen einen spanischen IM, dafür gewann ich in Runde 9 souverän gegen einen schwächeren Spieler aus Australien. Am Ende stehen 3,5/8 zu Buche, das hätten deutlich mehr sein müssen. Immerhin ein leichtes Eloplus (+4.8) im klassischen Schach und ein recht deutliches im Blitz (+42). Durch die Blitzturniere war dies eins der anstrengendsten Turniere, die ich in letzter Zeit gespielt habe und jetzt heißt es drei Tage Kräfte sammeln, damit ich ab 12.12. mit voller Energie beim Chessable Sunway Sitges Chess Festival durchstarten kann. Bis dahin werde ich die Zeit in Sitges mit Laufen am Strand, gutem Essen und viel Schlaf genießen.


Bis dahin, Josefine


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