Vom 10.11.-20.11. stand eines der wichtigsten Turniere diesen Jahres an - die Team-EM. Diese fand in der Nähe von Budva, Montenegro statt. Regelmäßige Leser wissen, dass ich keine besonders guten Erinnerungen an Montenegro habe, wo bereits im März die Frauen-EM stattfand. Aber natürlich war ich motiviert, es dieses Mal besser zu machen :). Hanna Marie, Jana, Yuri und ich reisten bereits am 6.11. an, um noch ein kleines Trainingslager vor dem Turnier einzuschieben. Dinara und Elisabeth hatten sich nach einem langen Grand Swiss ein paar Tage Ruhe verdient.
Bereits die Anreise verlief interessant. Ich kam aus Baku und wollte mich daher in Istanbul mit Yuri treffen. Während ich auf ihn wartete, spazierte ich wie üblich durch das Terminal und sah eine Frau, die mir unheimlich bekannt vorkam. Nachdem ich mich entschied sie anzusprechen, stellte sich heraus, dass ich richtig lag - die Frau war Nona Gaprindashvili(5. Frauenweltmeisterin). Sie war auf dem Heimweg von der Senioren-WM. Ein lustiger Zufall, dass wir gleichzeitig am Flughafen in Istanbul waren und vor allem auch, dass wir uns dort getroffen haben (wer noch nie da war, der Flughafen ist riesig). Kurz darauf traf ich auch Yuri und wir setzten unsere Reise fort.
Im Gegensatz zu unseren üblichen Trainingslagern ging es in Montenegro vor allem darum in Form zu kommen und in den Turniermodus zu kommen, da wir zuvor natürlich alle mit Arbeit/Studium beschäftigt waren. Dazu setzten wir uns immer nachmittags 15 Uhr für circa drei Stunden zusammen, lösten ein paar Aufgaben und besprachen einige Eröffnungsvarianten. Den Rest des Tages nutzten wir zur Entspannung, für Spaziergänge und einmal auch für einen Spabesuch.
Am regulären Anreisetag zogen wir dann vom Hotel Splendid ins Hotel Montenegro, wo wir während des Turniers untergebracht waren (die Tage zuvor war dieses Hotel noch geschlossen, November ist nicht gerade Hauptsaison). Auch Elisabeth und Dinara kamen am sehr frühen Morgen an und so war das Team komplett. Abends wollten wir gemeinsam zur Eröffnungsfeier gehen, welche laut allen offiziellen Informationen um 19 Uhr starten sollte. Um 17:30 bekamen wir dann die Information, dass der Bus in 20 Minuten losfährt, weil die Eröffnungsfeier eine Stunde vorverlegt wurde. Das war leider so kurzfristig, dass die meisten es nicht mehr schafften pünktlich auf ihr Handy zu schauen und so fiel das Ganze für uns ins Wasser. Es blieb nur zu hoffen, dass das Turnier besser organisiert sein würde. Zum Einstieg spielten wir gegen die bei Mannschaftsturnieren traditionell stark spielenden Griechinnen. Sie machten uns das Leben erwartet schwer und so kamen wir nicht über ein 2:2 hinaus. Zittern mussten sogar eher wir, weil ich im frühen Mittelspiel den Faden verlor und in eine unangenehme Stellung rutschte und Dinara gleichzeitig mit ihrem Remisgebot einen Bauern einstellte. Glücklicherweise, waren beide unsere Gegnerinnen mit Remis völlig zufrieden. Am nächsten Tag spielten wir, wie bereits vor zwei Jahren, gegen Norwegen. Wir konnten souverän mit 3,5:0,5 gewinnen.
In Runde 3 saßen uns die Serbinnen gegenüber, gegen die wir zwar an allen Brettern leicht favorisiert waren, die aber auch alle jung sind und daher definitiv keine leichten Gegnerinnen. In meiner Partie klappte die Vorbereitung fantastisch und meine Gegnerin verbrauchte bereits früh viel Zeit.
Hier ist eine recht typische Rossolimostruktur auf dem Brett. Schwarz hat einen schwachen, isolierten c-Doppelbauern, dafür aber das Läuferpaar. Das Problem in dieser Konstellation ist, dass Schwarz das Läuferpaar nicht behalten kann, daher war die Eröffnung ein Erfolg für Weiß. Die Verwertung dieses Vorteils war von hier nicht einfach und später startete mein Gegnerin noch einen verzweifelten Angriff gegen meinen König, der einige genaue Berechnungen erforderte. Die vollständige Analyse habe ich auf Youtube veröffentlicht:
Das Match konnten wir am Ende mit 2,5:1,5 gewinnen und so bekamen wir auch am Folgetag wieder gute Gegnerinnen. In Runde 4, gegen die Ungarinnen, waren wir wieder leicht favorisiert, doch da Dinara aussetzte, war es vor allem an den Brettern 2-4 alles andere als klar. Ich spielte gegen die erst 16-jährige Zsoka Gaal, die mit einer Elo von 2304 eines der größten Nachwuchstalente aktuell ist. Nach gelungener Vorbereitung folgte schnell der Übergang ins Endspiel, in dem meine Gegnerin eine Damenflügelmehrheit hatte und ich die aktiveren Figuren. Am Brett fiel es mir zunächst sehr schwer, die Stellung einzuschätzen, es stellte sich jedoch später heraus, dass es mindestens viel leichter zu spielen war für mich.
In diesem Moment hatte ich mich bereits damit angefreundet, ein Endspiel mit vier gegen drei Bauern am Königsflügel zu spielen und suchte daher nach keinen großen Alternativen zu 35...Sdxb5. Viel besser wäre es aber, zunächst 35...Tc7 zu spielen. So kann Schwarz den a-Bauern behalten und spielt am Ende mit Bauern auf beiden Flügeln, was die Gewinnchancen deutlich erhöht. Wie schon Emanuel Lasker sagte: "Wenn du einen guten Zug siehst, suche nach einem besseren." Glücklicherweise war auch meine Entscheidung nicht schlecht und ich konnte die Partie bald gewinnen, weil meine Gegnerin übersah, dass ich den Übergang ins Bauernendspiel erzwingen konnte. Auch Elisabeth gewann eine schöne Partie und so konnten wir am Ende mit 2,5:1,5 siegen. Am nächsten Tag ging es dann am ersten Brett gegen Aserbaidschan. Nominell sind wir ungefähr gleichwertig mit den Aserbaidschanerinnen, aber wir haben jedes Jahr wieder große Probleme gegen sie. In offiziellen Wettkämpfen kann ich mich tatsächlich seit 2015 an kein einziges Unentschieden erinnern und auch in den zwei Freundschaftskämpfen, die wir 2017 und 2019 spielten, verloren wir deutlich (9,5:15,5 und 7,5:17,5). Dennoch wollten wir es dieses Jahr natürlich besser machen und zunächst sah es auch so aus, als würde das Match sehr in unserem Sinne verlaufen. Dinara spielte mit Weiß recht schnell Remis, aber an allen anderen Brettern konnten wir recht klare Vorteile verzeichnen. Hanna Marie konnte zwischendurch mal eine Figur gewinnen, verpasste dies jedoch und hatte dann "nur" einen Bauern mehr. Elisabeth und ich konnte im Mittelspiel mit Schwarz klar die Initiative übernehmen. Mein Vorteil wurde langsam größer, bis meine Gegnerin plötzlich und ziemlich unerwartet Remis bot.
Wie es sich gehört, fragte ich natürlich unseren Kapitän, ob ich das Angebot annehmen soll und er sagte mir, ich solle selbst entscheiden. Das verwirrte mich etwas, weil ich eigentlich nicht an den weißen Angriff glaubte, aber nun annahm, dass ich vielleicht doch etwas übersehen hatte. Also setzte ich mich ans Brett und suchte nach weißen Ressourcen. In Diagramm 3 droht Weiß 36. Df6, daher ist 35...Kh8 naheliegend. Als nächstes möchte Schwarz auf d4 nehmen, daher sollte Weiß weitere Drohungen schaffen. Meine Hauptvariante lautete: 35...Kh8 36. Tg4 Dxd4 37. Dg3 f5 38. exf6 e.p. Dxf6 39.Tf4 De7 40.Df3 und Weiß schien sehr aktiv zu sein. Dazu berechnete ich noch einige andere Ideen für Weiß, die gefährlich aussahen (aber ehrlich gesagt alle nicht richtig funktionieren) und plötzlich waren 20 Minuten um ich ich hatte nur noch 5 Minuten auf der Uhr. Da ich mich in der Zwischenzeit auch ziemlich nervös gerechnet hatte und die anderen beiden Bretter nach wie vor gut aussahen, entschied ich mich auf Nummer sicher zu gehen und das Remis anzunehmen. Leider stellte sich das bereits als ich in meinem Zimmer ankam, als großer Fehler raus. Hanna Marie verspielte ihren Vorteil komplett und die Stellung war nach der Zeitkontrolle völlig ausgeglichen und endete bald Remis. Auch Elisabeth verspielte ihren Vorteil und nach der Zeitkontrolle war ihre Stellung sogar eher unangenehm. Im weiteren Verlauf spielte ihre Gegnerin stark und konnte im Schwerfigurenendspiel gewinnen. Das Match, in dem es lange Zeit so aussah, als wenn vor allem die Höhe des Sieges unklar ist, endete mal wieder 1,5:2,5. Nach diesem Ausgang fühlte ich mich natürlich ziemlich schlecht und vor allem unglaublich verantwortlich für den unschönen Ausgang. Immerhin entglitt mir die Partie nicht, sondern ich machte mich einfach nur selbst so nervös, dass ich die Kontrolle verlor. Dementsprechend war die Stimmung am Abend auch sehr gedrückt und der freie Tag mehr als willkommen, denn diese schlechte Entscheidung emotional wegzustecken, war alles andere als einfach.
Den freien Tag verbrachten wir in der Altstadt in Budva.
Das Wetter war wundervoll und wir hatten endlich mal die Chance auswärts zu essen (diese Hotelbuffets werden nach einer Woche schnell langweilig und sind meistens auch nicht allzu gut).
Am Nachmittag bereiteten wir dann noch ein bisschen vor, so konnten wir am nächsten Morgen Kraft sparen und unsere Trainer konnten mal tagsüber statt nachts analysieren :).
Meine junge Gegenerin Machteld van Foreest schlug vor der Zeitkontrolle einmal eine Stellungswiederholung aus und versuchte wohl etwas zu sehr ein ausgeglichenes Turmendspiel zu gewinnen. Hier hatte ich dann eine Chance die Partie schnell zu beenden, indem ich mit dem König nach b3 laufe und den Turm von a1 wegziehe. Leider übersah ich diese Idee völlig und spielte 44... Te1 45. Txa2 Txe4+ 46. Kf5 Td4 und von hier verteidigte sich meine Gegnerin sehr gut, zumindest bis kurz vor Schluss...
Kurz vor dem Turnier las ich das neue Buch von Sam Shankland "Theoretical Rook Endgames" (große Empfehlung, definitiv das beste Buch, was ich zu diesem Thema je gelesen habe) und genau diese Stellung findet sich auch in Kapitel 19 wieder. Sein Kommentar dazu "I struggle to imagine anyone being dumb enough to play Ng4."("Es fällt mir schwer, mir vorzustellen, dass jemand dämlich genug sein kann, hier Sg4 zu spielen.") Das ist wohl etwas hart ausgedrückt, denn nach einer langen Verteidigung und mit dem Druck des 1,5:1,5 Matchstandes im Nacken kann man schnell die Nerven verlieren und Fehler machen, die man sonst nie machen würde, dennoch gibt es in dieser Art Endspiel eigentlich nur eine Grundregel - der Springer muss beim König bleiben. Meine Gegnerin ignorierte diese Regel für einen Moment und nach 68. Sg4 Th7 69. Se3 Th4 hatte der Springer sich verlaufen und wurde bald gefangen. Ein glückliches Ende für uns, denn so konnten wir das Match gewinnen. Allerdings hätte ich ja auch vorher einmal das Turmendspiel gewinnen können :).
Leider spürte ich noch am selben Abend, dass auch ich langsam krank wurde und so machte ich mir große Sorgen, ob ich die nächsten Tage noch fit genug für die Partien sein würde. In Runde 7 ging es dann gegen die starken Polinnen. Ich lief leider mit Weiß in eine unangenehme Vorbereitung meiner Gegnerin (sie spielte zum ersten Mal in ihrem Leben offenes Spanisch) und musste schon bald die Züge wiederholen. Hinsichtlich meines Gesundheitszustandes war das ein willkommener Ruhetag, allerdings ist es für das Team natürlich sehr unschön eine Weißpartie so zu verschenken und das bekamen wir im weiteren Verlauf auch zu spüren. An Brett 1 und 2 bekamen wir keine großen Chancen und Hanna Marie an 4 litt die ganze Partie über und konnte ihre Stellung schlussendlich nicht verteidigen. So ging dieses Match knapp aber verdient verloren. In Runde 8 spielten wir gegen die stark auftrumphenden Französinnen. Vor der Runde war klar, wollten wir eine Medaille gewinnen, müssten zwei Siege in den letzten beiden Runden her. Ich spielte mit Weiß gegen Mitra Hejazipour und bekam nach ihrereseits misslungener Eröffnung sehr gute Chancen. Sie verteidigte sich jedoch ressourcenreich und am Ende gelang es mir nicht, dauerhaft die beste Fortsetzung zu finden. Die genaue Analyse gibt es auf Youtube:
Leider endete das Match 2:2 und somit waren unsere Medaillenchancen Geschichte. In Runde 9 ging es gegen Schweiz aber zumindest noch um eine Platzierung unter den ersten 5. Am nächsten Morgen ging es mir leider nochmal deutlich schlechter als an den Vortagen, daher bat ich Yuri auszusetzen. Zuzuschauen ist definitiv nicht leichter als selbst zu spielen und so war der Nachmittag dennoch recht stressig. Es gab viele Aufs und Abs und schließlich endete das Match ebenfalls 2:2. Wir schlossen das Turnier auf Platz 7 ab. Damit sind wir natürlich nicht zufrieden. Das Hauptproblem war, dass niemand so richtig ins Turnier fand und wir zu viele Chancen liegen ließen. Mit meinem Schach bin ich an sich sehr zufrieden, aber insbesondere die Partie gegen Aserbaidschan tat natürlich sehr weh, weil sie auch großen Einfluss auf das Ergebnis der Mannschaft hatte. Nach dem Turnier ging es für mich nach Budapest, wo ich drei Tage verbrachte, bevor ich zur österreichischen Liga fuhr. Dort spielte ich für den SK Baden zusammen mit Dinara.
Am zweiten Brett konnte ich 3/3 holen und somit weitere Elopunkte einsammeln. Die Qualität der Partien ließ jedoch merklich nach und ich bin froh, dass es jetzt wieder für mich nach Hause geht, wo ich bis zum German Masters noch 2 Wochen Pause habe. Vielen Dank an alle, die während der EM mitgefiebert haben, wir arbeiten daran, dass wir beim nächsten Mal ein besseres Turnier spielen! Und natürlich noch einmal herzlichen Glückwunsch an unsere Männer, die wirklich ein tolles Turnier spielten und nur ganz knapp von den Serben auf den 2. Platz verwiesen wurden.
Bis bald,
Josefine
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